Liebe Freunde der blinden, Maiskorn findenden Hühner,

Lasst Euch von meinem Meister erzählen. Und zwar jenem bemerkenswerten Mann, der in einem unscheinbaren Häuschen der unaussprechlichen Chang Puak Road in Chiang Mai wohnt.

Ein Haus wie jedes andere?


Von der Straße aus gesehen, gleicht das Häuschen vielen thailändischen Bauten; verlottert wächst es nahe der stark befahrenen und Luft verwesten Straße aus staubiger, unfruchtbarer Erde. Sogar für erfahrene Songthaeofahrer, also den Lenkern der zweibänkigen roten Taxipickups, ist das graue Häuschen mit den Eisen schweren Gittervorbau schwer zu finden.

Riecht das gut, ist das neu?
Schiebt man die Einganstür beiseite, kommt einem ungeahnt frische Luft entgegen, was eine ähnliche Wohltat für Thailand affine ergo reizüberflutete Nasen ist, wie der Lärm aus umliegenden Bauten, Gäßchen und Innenhöfen ein gar atonales Konzert für Ohrwaschln darstellt.

Freaks of Nature
An der Miniapotheke im Vorraum und Wartesaal vorbeigekommen, stürzen einem gräßlich anmutende haarige Ratten entgegen: Überzüchtete chinesische Schoßhunde mit zerquetschten Fratzen, seltsam gebogenen Schwänzen und einem furchtbar hohem Bellorgan.

Sinchais Ehefrau mit einer ihrer Ratten.

Die in Flipflops wenig geschützten Füße müssen sich die wenigen Stufen in den ersten Stock hinauf nicht nur tretend gegen diese Bestien wehren, sondern auch noch gegen die graue Malteserkatze mit dem amputierten und mehrfach (absichtlich) gebrochenen Rattenschwanz, die auch nur zu gerne auf menschliche Zehen herumkaut.

Sinchais Füße können ein Liedchen davon singen. Dies ist des Meisters Name. Sinchai. Sinchai Sukparsert..


Der mit dem Tastsinn sieht
Der 62-jährige geborene Bangkoker, ist seit seinem vierten Lebensjahr blind. Er begrüßt einen mit einem verzerrten, freundlichen Lächeln, die Hand nach Körperlichem tastend. Dabei richtet sich sein linker, beinahe gänzlich weißer Augapfel auf einen, ohne zu erkennen. Das andere Lid bleibt verschlossen.

Massiert Sinchai, schließt sich sein offenes Auge, nur der Mund mit dem einzeln vorstehenden Vorderzahn bleibt für ein vielsagendes “Ohhh” oder “Aaaah” geöffnet.

37 Jahre Körpertherapie
Der Meister lernte in der nun bereits geschlossenen "School for the Blind" in Bangkok und praktizierte als Chefmasseur 37 Jahre lang im Chiang Mai University Hospital. Seit etwa vier Jahren macht Sinchai sein umfassendes Wissen um die Kunst der traditionellen Thai Massage in seinem eigenen Massagesalon zugänglich. Seit einem Jahr nimmt der Thai mit der einzigartigen Daumenmethode auch Lehrlinge aus aller Welt an.


Wissenbegierig wie er ist lernte er so das für sehbehinderte Menschen wichtigste Vokabel in verschiedensten Sprachen kennen: "Achtung!"



Gut, weil anders
Als seine Ehrfurcht ergebene Schülerin, genieße ich die familiäre, intime Studienatmosphäre in Sinchais einfachen Gemächern. Was die charakterlose Inneneinrichtung an liebenswerten Eigenheiten entbehrt, bekommen Besucher durch ganz andere Dinge zu spüren: Durch ein freundliches Willkommen, den Eigenwillen der vierbeinigen Mitbewohner oder die zurückhaltende Gastfreundlichkeit von Sinchais Ehefrau, die uns Studierende regelmäßig mit Tee, Kuchen und Früchten in der Pause versorgt.

Good Pain
Die Methodik, die Sinchai lehrt, ist für thailändische Verhältnisse ungewohnt westlich angepasst. Bekommt man hier eine Massage verpasst, muss man nicht im Sinne des Wortes stundenlang auf die Behandlung des geschundenen Rueckens oder Nackens warten, während ewig an den Beinen gewerkt wird. Sinchai weiß um die Probleme und Erwartungen der "Westler" und beginnt mit eben jener häufigen Problemzone. Dabei wendet er einen relativ sanften, und therapeutisch äußerst wirksamen Griff an.


Unter Sinchais Händen lernt man vielleicht am Besten zu verstehen, was die von Nuadpraktikern nur zu gern gebrauchte Phrase "Good Pain" bedeutet und welchen Wirksamkeit diese Methodik besitzt.

Wahrlich ein Meister
Ein bemerkenswerter Mann. Einen Monat habe ich nun lernend bei ihm verbracht. In Nuadkreisen, vor allem unter ausländischen Studierenden, wird Sinchai aufgrund seiner Zurückhaltung und Bescheidenheit, eher als Geheimtipp gehandelt und unter anderen großen Meistern - wenn überhaupt - als einer der letzten genannt.

Doch Bekanntheit ist nicht immer eine Garantie für Qualität, vor allem nicht in Chiang Mai, wo teure Schulen einfach nur teurer und nicht unbedingt besser sind als preislich angemessene Institute. Gerade deshalb empfinde ich es als große Ehre, hier gelernt haben zu dürfen. Denn in Sinchais Bescheidenheit liegt wahre Größe versteckt und seine Augen sehen besser als viele.



Und wie geht es eurem Körper?

(HIER KLICKEN: Chiang Mai Report 11: Great days with great people)

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